Bibeltexte stammen aus einem anderen zeitlichen und kulturellen Hintergrund, sie sind nicht wortwörtlich zu verstehen, sondern müssen entsprechend interpretiert werden
Die biblischen Texte spiegeln das Denken und die Vorstellungen ihrer Entstehungszeit und ihrer Kultur - das kann für uns heute mit einem anderen kulturellen Hintergrund zu Verständnisproblemen führen. Damals verwendeten die Menschen oft Bilder und Metaphern, um ihre Empfindungen auszudrücken - das tun wir auch, wenn wir einen geliebten Menschen "Schatz" nennen oder eine hilfsbereite Person als "Engel" bezeichnen -, allerdings ändern sich solche Bilder und Metaphern im Laufe der Zeit und unterscheiden sich in den Kulturen. In biblischen Erzählungen (z.B. 1 Sam 14,15; Mt 27,51-54) ist manchmal von "Erdbeben" die Rede, obwohl die Region, in der die Texte entstanden, gar keine typische Erdbeben-Region ist. Es geht also gar nicht wortwörtlich um "Erdbeben", sondern um eine Art und Weise einer Gottes-Erfahrung, die - wie ein Erdbeben - als "erschütternd" und "erschreckend" erfahren wurde. Die theologische Tradition und die Mystik beschreiben Gottes-Erfahrungen als "tremendum et fascinosum", als "erschreckend und faszinierend zugleich". Auch wenn wie in diesem Beispiel von "Erdbeben" die Rede ist, obwohl kein echtes Erdbeben gemeint ist, enthalten die biblischen Texte echte, authentische Erfahrung - allerdings umschrieben und für uns heute zu deuten. Auch die Gleichnisse, die Jesus erzählt, sind keine "wahren Begebenheiten", obwohl sie im Alltag damals verortet sind, sondern Beispielsgeschichten für ein Handeln, das dem Willen Gottes entspricht - so müssen sie gedeutet und für uns heute übertragen werden. Besonders die Reden Jesu (z.B. die Bergpredigt in Mt 5-7 oder die Endzeitrede in Mt 24-25 oder die Erzählung vom letzten Abendmahl in Mt 26,20-29) hat niemand damals "mitprotokolliert", sondern sie sind Jahrzehnte später (ca. um 80 n. Chr.) vom Evangelisten verfasst worden. Auch wenn Jesus diese Worte nie buchstäblich so gesagt hat, enthalten diese Texte dennoch seine eigentliche Aussageabsicht, seine Intention. Letztlich und eigentlich kommt es bei den Bibeltexten nicht darauf an, an Buchstaben festzuhalten, sondern den Sinn
und die Aussageabsicht
zu verstehen! Nur so zeigen die antiken Texte ihre Bedeutung auch noch für uns heute.